Kinder- und Jugendreha ist oft dringend geboten, weil es nicht allen Kindern und Jugendlichen gut geht. Alwin Baumann über Rehabilitation, das neue Flexirentengesetz und den neuen Verein "Bündnis Kinder- und Jugendreha e. V."

Unterschiedliche aktuelle Daten dokumentieren die gesundheitlichen Probleme vieler Kinder und Jugendlicher, die sich häufig negativ auf die Teilhabe in Kindergärten, Schulen, im sozialen Miteinander und in der Familie auswirken.

So geht das Robert Koch-Institut von 16 % chronisch kranken und gesundheitlich beeinträchtigten Kindern und Jugendlichen in Deutschland aus. Das diesjährige paritätische Jahresgutachten beschreibt die negativen Folgen des niedrigen sozialen Status auf die Gesundheit und die Entwicklungsmöglichkeiten. Bei vielen der jährlich 100.000 Scheidungskinder wirken sich die Trennungen problematisch auf die seelische Gesundheit aus. Die Welt am Sonntag berichtete am 18. 06. 17 von 20.000 Mobbingopfern unter den bayerischen Schülern. Die Zahl der Schulvermeider hat offensichtlich zugenommen, ebenso die der Schulabbrecher. Kann die Kinder- und Jugendreha hier etwas bewegen?

Rehabilitation ein Ausweg?

Rund 50 Kliniken bieten in Deutschland eine stationäre Rehabilitation für Kinder und Jugendliche an. Die medizinisch-therapeutischen Maßnahmen, durchgeführt durch ein multiprofessionelles Team, dauern 4 – 6 Wochen. Es sind spezialisierte und qualitätsgesicherte Maßnahmen. Jüngere Kinder bringen die ganze Zeit eine Begleitperson mit, bei älteren Kindern und Jugendlichen werden die Eltern über Gespräche und Schulungen einbezogen. Die medizinischen Aufnahmegründe reichen von Atemwegs- und Hauterkrankungen über psychosoziale und psychische Störungen bis zu Essstörungen, neuropädiatrische, orthopädische und onkologische Erkrankungen.

Träger der Maßnahmen sind überwiegend die Rentenversicherungsträger, gefolgt von den Krankenkassen. Die Daten der Rentenversicherung zeigen, dass mit Rehamaßnahmen schon kleinsten Kindern, z. B. bei einer schweren Neurodermitis oder bei Entwicklungsstörungen, geholfen werden kann, und dass Eltern wegen der unbegründeten Angst vor einem Unterrichtsausfall, insbesondere bei jüngeren Schulkindern, auf eine Reha lieber verzichten (siehe Abb. 1). Rund 50.000 Maßnahmen werden pro Jahr durchgeführt. Angesichts der beschriebenen gesundheitlichen Situation der Kinder und Jugendlichen müsste man eine viel höhere Zahl erwarten. Zudem gehen die Anträge und Bewilligungen seit 2009 sogar noch zurück, was nicht nur durch die Demographie bedingt ist (Abb. 2).

Was bringt das Flexirentengesetz?

Probleme der Kinder- und Jugendrehabilitation waren die nicht eindeutige Zuständigkeit der Leistungsträger, die Verwechselung mit Mutter-Kind-Maßnahmen, das Antrags-, statt Verschreibungsverfahren und die Sorge der Eltern wegen Schulunterrichtsausfall. Zudem beklagten Eltern und Ärzte eine aus ihrer Sicht zu restriktive Haltung bei der Bewilligung von Begleitpersonen. Der Reha wurde auch vorgeworfen, zwar eine intensive und erfolgreiche, aber nicht nachhaltige Maßnahme anzubieten. Der Ausbau des schulischen Angebots in der Reha (Stichwort: "schulische Rehabilitation") und vor allem das seit Jahreswechsel gültige Flexirentengesetzes beheben die genannten Probleme. Künftig gibt es die Rehabilitation – jetzt eine Pflichtleistung der Rentenversicherung – auch ambulant, also vor Ort in der häuslichen Umgebung. Eine Nachsorge und eine stärkere Einbindung der Familien bei familienorientierten Maßnahmen ergänzen die neuen Optionen (siehe Infokasten).

Reha-Scouts auf YouTube

Leistungsfähige Kinder und Jugendliche sind die künftigen Erwerbstätigen und Beitragszahler der Rentenversicherung. Bei chronisch kranken und gesundheitlich eingeschränkten Kindern und Jugendlichen setzt die Deutsche Rentenversicherung dabei auf die Möglichkeiten der Rehabilitation. In einem Positionspapier bekannte sie sich bereits 2012 zur Ausweitung ihrer Aktivitäten, um eine höhere Inanspruchnahme von Rehamaßnahmen für Kinder und Jugendliche zu erreichen. Einige RV-Träger führten Tagungen für Ärzte durch und verteilten Info-Flyer. Die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg startete nun sogar eine Social-Media-Offensive. Sie hat Filme drehen lassen, in denen betroffene Jugendliche (Reha-Scout Selma, Reha-Scout Dennis) und eine Mutter (Interview Familie) diese Maßnahmenart vorstellen. Die Filme sind auf YouTube unter "DRV BW Kinderreha" leicht zu finden.

Neuer Verein "Bündnis Kinder- und Jugendreha e. V."

Um die Rehabilitation von Kindern und Jugendlichen in der Öffentlichkeit, in den Familien und bei den Lehrern, aber auch bei Ärzten und anderen Fachleuten bekannter zu machen, haben die Kliniken einen Verein – das Bündnis Kinder- und Jugendreha e. V. – gegründet. Auch die Umsetzung des Flexirentengesetzes will der neue Verein begleiten. Der ehrenamtliche Vorstand besteht aus dem Vorsitzenden Andreas Auer (Murnau) und seinem Stellvertreter Jürgen Horn (Bad Kreuznach). Weiter im Vorstand sind: Thomas Eisenla (Beelitz-Heilstätten), Stephan Maier (Schönwald), Peter Schmitz (Bad Salzungen) und Annett Traue (Bad Sobernheim). Angestellter Sprecher des Vereins ist Alwin Baumann (Wangen im Allgäu). Der Verein arbeitet eng mit der Deutschen Gesellschaft für pädiatrische Rehabilitation und Prävention e. V. (DGPRP) und den Verbänden der Kinder- u. Jugendreha, z. B. der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSPJ), zusammen. Er nimmt seine Arbeit zu Jahresbeginn 2018 auf. Schon heute kommuniziert dieses Bündnis über die Seite www.kinder-und-jugendreha-im-netz.de.

Infokasten: Die Regelung des neuen Flexirentengesetzes
  • Kinder- und Jugendreha wird Pflichtleistung bei der DRV.
  • Leistung wird stationär und ambulant erbracht.
  • DRV erbringt Leistungen zur Nachsorge.
  • Indikationsbeschränkungen werden aufgehoben.
  • Ziel der späteren Erwerbsfähigkeit umfasst auch Schul- und Ausbildungsfähigkeit.
  • Anspruch auf Mitaufnahme einer Begleitperson.
  • Anspruch auf Mitaufnahme der Familienangehörigen.
  • Gesonderte Begrenzung der Ausgaben entfällt.
  • Stationäre Leistungen werden für mindestens 4 Wochen erbracht.
  • Vierjahreswiederholungsfrist findet keine Anwendung mehr.

Hotline für die Kinder- und Jugendärzte

Wesentliches Anliegen des Vereins ist es, die Kinder- und Jugendärzte bei allen Fragen rund um die Rehabilitation zu unterstützen. Die Kontaktaufnahme erfolgt über eine Mailanfrage unter kontakt@kinder-und-jugendreha-im-netz.de. Wird ein Telefonat erbeten, erfolgt ein telefonischer Rückruf unter der in der Mail angegebenen Nummer. Alle Informationen zur Kinder- und Jugendreha und zu den Kliniken sind auf der Homepage www.kinder-und-jugendreha-im-netz.de zu finden. Der Verein präsentiert die Kinder- und Jugendreha auf eigenen Veranstaltungen, den wissenschaftlichen Tagungen der Kinder- und Jugendärzte und Kinder- und Jugendpsychiater und referiert in den ärztlichen Qualitätszirkeln vor Ort.

Alle Informationen zur Kinder- und Jugendreha: www.kinder-und-jugendreha-im-netz.de


Korrespondenzadresse
Alwin Baumann
Bündnis Kinder- und Jugendreha e.V.
Wangen im Allgäu

Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2018; 89 (1) Seite 61-62