Vom Suchen und Finden der „guten Medizin“. Santiago Ewig, 247 Seiten, 2015, Thieme Verlag, Stuttgart. ISBN 978-3-13-204841-6; 19,99 Euro

Die Selbstreflexion des Arztbildes hat Tradition und vielfältige Vorbilder. Um nur einige zu nennen: Von Hippokrates über Erwin Lieks „Der Arzt und seine Sendung“ zu Klaus Dörners „Der gute Arzt: Lehrbuch der ärztlichen Grundhaltung“ oder Bernhard Lowns „Die verlorene Kunst des Heilens: Anleitung zum Umdenken“ bis hin zu Gerd Gigerenzers „Bessere Ärzte, bessere Patienten, bessere Medizin“ und Giuseppe Maios „Mittelpunkt Mensch: Ethik in der Medizin“. Nun hat der Thieme Verlag den Mut gefasst, diesem Reigen einen weiteren Anstoß zum „Suchen und Finden einer guten Medizin“, wie es im Untertitel zu „Arztberuf in der Krise“ von Santiago Ewig heißt, hinzuzufügen. Der Autor ist Kliniker, Internist, Pneumologe und Wissenschaftler, bekennender Biomediziner und bekennender Christ sowie Autor zahlreicher Aufsätze zur medizinischen Ethik.

Über die historisch unterschiedlich entwickelten Modelle einer Patienten-Arzt-Beziehung und seiner Auswirkungen auf die Rolle des Arztes im gegenwärtigen „Ware Gesundheit“–Paradigma befürchtet er die Selbstabschaffung des Arztes durch die geltende medizinische Theorie, die das therapeutische Verhältnis von Patient und Arzt für bedeutungslos hält. Der Arzt ist denjenigen Naturwissenschaftlern ausgeliefert, die medizinische Techniken entwickeln, und den Ökonomen und Werbestrategen, die diese vermarkten. Der Weg aus diesem Dilemma kann sich nur aus der Kritik des Maschinenmodells entwickeln – und das muss mit der Ausbildung beginnen. 4 neue Fächer scheinen dem Autor unentbehrlich: Grundlagen der ärztlichen Ethik, der Gesprächsführung, des Medizinrechts und der Medizinökonomie. Es gehe nicht an, dass der angehende Arzt am Ende des Studiums weder das ärztliche Selbstverständnis, noch die Kommunikation mit den Patienten, noch die rechtlichen und ökonomischen Grundlagen seines Handelns kennt.

Marginalisierung der Psychosomatik: Die Stellung der Psychosomatik wird als beklagenswert dargestellt: Sie führt ein Schattendasein und wird als Ballast empfunden. Ärztliche Gesprächsführung und das Erkennen psychosozialer Aspekte der Patienten ist weder Teil des Studiums noch der Facharztweiterbildung. Die Psychosomatik in den Fachgebieten steht in der Konkurrenz zu der sie vereinnahmenden Psychiatrie, die aber heute ihre Identität fast ausnahmslos durch die biologischen Aspekte psychischer Störungen zu schöpfen scheint. So stirbt der psychosomatische Denkansatz und mit ihr die ärztliche Psychotherapie aus.
Die Medizin wird sich in den nächsten Jahren weiter radikal verändern: Ärzte sind abhängige „Leistungserbringer“, Patienten „Konsumenten mit individuell begrenzter Reichweite“. Die Bedeutung des Arztes, aber auch die der unabhängigen Patienten-Arzt-Beziehung, hat ausgespielt. Die offensichtlichen Defizite dieses Modells werden neuen, im hoffentlich besten Sinne alternativen Angeboten Platz machen, die wiederum auf der Beziehungsebene agieren werden – und das Leben so annehmen, wie es eben ist.


Dr. med. Stephan Heinrich Nolte, Marburg


Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2017; 88 (5) Seite 345