Wie können Kinder- und Jugendärzte mit Jugendlichen besser kommunizieren? Dazu hat eine Gruppe von jungen Erwachsenen des Kindernetzwerks gemeinsam mit Vertretern verschiedener Fachrichtungen eine Kommunikationskarte entwickelt.

Die Kommunikation zwischen Kinder- und Jugendärzten und auch Erwachsenenmedizinern mit Adoleszenten lässt in der täglichen Praxis arg zu wünschen übrig. Eine Gruppe von jungen Erwachsenen in der bundesweiten Dachorganisation Kindernetzwerk e. V. will das jetzt ändern.

Denn die jungen Patienten wollen sich auf Dauer keineswegs mehr damit abfinden, dass ihre große Kompetenz über ihren eigenen Krankheiten, Behinderungen oder anderweitigen besonderen Bedürfnissen im Praxis- und Klinikalltag weitgehend außer Acht gelassen wird. Sie wollen es nicht weiter hinnehmen, dass häufig die direktive und bestimmende Sprache des Arztes alles dominiert und der junge Patient in eine "Nebenrolle" degradiert wird, gerade auch wenn die Eltern beim gesamten Gespräch mit anwesend und dominant sind. Und sie wollen das Dilemma zu lösen versuchen, dass junge Menschen mit ihren vielen Fragen gar nicht richtig zum Zug kommen, weil das Medizinsystem mit seinen vielen Zwängen und dem extremen Zeitdruck eher zur schablonenhaft schnellstmöglichen als zur bestmöglichen Lösung neigt.

An den folgenden Stellen und Punkten wird dies im Praxis- und Klinikalltag besonders deutlich:

  • Mangelnde Empathie und zu wenig Zeit für das Gespräch mit dem jungen Patienten führen zur Behandlung nach Schema F, bei der dann häufig auch nur Standardbehandlungen verordnet werden. Bedenken oder gar Einwände des jungen Patienten selbst oder sogar abweichende Meinungen des Assistenzarztes, die die Position der Adoleszenten häufig eher stärken, bleiben so unberücksichtigt.
  • Gerade bei seltenen Erkrankungen kann es vorkommen, dass das Alltagswissen und die Risiken und (Neben)-Wirkungen von bestimmten therapeutischen Maßnahmen dem Patienten bewusster sind als dem Arzt. Wenn diese Kompetenz des jungen Menschen nicht abgerufen und anerkannt werden, werden Potenziale hin zu einer optimalen Behandlung leichtfertig verspielt.
  • Persönliche Kommunikation wird besonders dann unterbunden, wenn die Eltern während des gesamten Gesprächs mit dabei sind und der junge Patient damit an den Rand gedrängt wird.
  • Die mangelnde Berücksichtigung der erlebten Kompetenz der jungen Patienten, die standardisiert abgearbeiteten Arzt-Patienten-Gespräche und die Statistenrolle binden den jungen und eigentlichen Patienten nicht ausreichend in die Behandlungsstrategie mit ein. Die Folgen bleiben nicht aus: Compliance und Adhärenz nehmen deutlich ab, mitunter lehnen junge Erwachsene eine Zeit lang sogar sämtliche Behandlungsangebote ab.
  • Bei leichteren oder nicht so offensichtlichen Ausprägungen von Erkrankungen müssen sich junge Patienten andererseits oft dafür rechtfertigen, dass auch ihr Leidensdruck (physisch und sozial) hoch sein kann und medizinische Interventionen durchaus sinnvoll sind. Doch auch in diesen Fällen fehlt im Alltag dem Arzt häufig die Zeit, sich damit effektiv auseinanderzusetzen.

Die Sichtweise der jungen Menschen im Arbeitskreis "Junge Erwachsene" im Kindernetzwerk sieht hingegen so aus: "Du bist der Pilot deines Lebens, die Eltern können die Lotsenfunktion und der Arzt/die Ärztin können die Co-Pilotenrolle einnehmen. Und genau wie im Cockpit eines Flugzeuges sind gute Kommunikation und Verlässlichkeit dabei die Grundlagen, um auf Kurs zu bleiben."

Der Pädiater sieht sich mit dem schmalen Grat konfrontiert, dem Prozess des Erwachsenenwerdens gerade bei chronischen Erkrankungen gerecht zu werden und zwischen Autonomie und Eigenverantwortung und notwendiger Unterstützung – bei vielen Krankheitsbildern auch noch mit 18 Jahren und darüber hinaus erforderlich – abzuwägen.

Doch wie sah nun der Projektansatz des Kindernetzwerkes konkret aus, um aus diesem Dilemma, das den Arzt und den jungen Patienten mitsamt seinen Eltern betrifft, herauszukommen? Welche Schritte konnten hier nun konkret in die Wege geleitet werden? Folgende 8 Maßnahmen standen im Projektzeitraum 2016/2017, mit Unterstützung des Pharmaunternehmens Pfizer Deutschland GmbH, im Fokus:

1. Ausführliche Literaturrecherche

Diese umfasste eine Zusammenstellung von Veröffentlichungen zur gelungenen Kommunikation von Ärzten und Patienten generell und zwischen Jugendlichen/Adoleszenten und Pädiatern speziell. Letztere sind indes noch recht rar gesät.

Die ausführliche Liste der Veröffentlichungen kann unter mund@kindernetzwerk.de angefordert werden.

2. Treffen in einer großen Runde in der Charité in Berlin mit Experten der Charité

Daran nahmen Vertreter aus den Reihen der Pädiater, Psychologen, Kinder- und Jugendpsychotherapeuten, des Kindernetzwerks, der Eltern-Selbsthilfe sowie Kommunikationsexperten und Mitarbeitervon Pfizer teil. Ziele dabei: Bestandsaufnahme, Vorstellung diverser Projekte, Handlungserfordernisse. Erstes Ergebnis: Erstellen einer Checkliste für junge Menschen, Pädiater und Eltern.

3. Erstellen und Druck der Kommunikationskarte

Die ausführliche Checkliste ist dann in einem langen Prozess immer weiter auf die relevantesten Botschaften verkürzt worden. Daraus entstand dann schließlich die Kommunikationskarte "Mit mir kann man schon reden", in denen diese Fragen aufgeworfen werden: "Was wünsche ich mir von den Eltern?", "Wie ticke ich jetzt?", und "Was sollte der Arzt beachten?".

4. Antworten publik machen: z. B. "Was sollte der Arzt beachten?"

  • Mich als Erwachsenen behandeln
  • Für mich ein offenes Ohr haben
  • Mir Zeit für Fragen geben
  • Mich in meiner Autonomie stärken
  • Mir auch Empathie entgegenbringen

5. Erstmalige Präsentation auf dem Pfizer-Patienten-Dialog 2017 in Berlin

Die Problematik wurde bei der Pfizer-Veranstaltung zunächst in Form eines Rollenspiels zwischen Ärztin und Vater bis hin zur Schlusspointe des Jugendlichen "Mit mir kann man schon reden" aufgerollt. Danach wurde die Kommunikationskarte vorgestellt und verteilt. Die Resonanz darauf war ausschließlich positiv.

6. Weiterer Praxistest der Karte bei der Kindernetzwerk-Jahrestagung 2017

Dabei kamen sehr positive Rückmeldungen, insbesondere auch von den Kinder- und Jugendärzten. Einig war man sich aber auch, dass jede Seite allzu häufig noch Scheuklappen aufhat, um einen konstruktiven Kommunikationsprozess in Gang zu setzen. Prozesse, um diesen zu verbessern, sind aber vereinzelt – etwa von der Deutschen Gesellschaft für allgemeine und ambulante Pädiatrie (DGAAP) oder über den Modulplan der Uni Bonn – in Gang gekommen. Beim Kindernetzwerk-Projekt wird von den Pädiatern insbesondere der praktische Nutzwert der Kommunikationskarte und der ausführlicheren Checkliste gewürdigt.

7. Vortrags-Präsentation des Projekts bei der DGSPJ-Jahrestagung 2017 in Köln

Dort wurde das Modellprojekt mit ersten vorläufigen Ergebnissen von Kindernetzwerk Geschäftsführer Raimund Schmid erstmals vor Kinder- und Jugendärzten bundesweit positioniert.

8. Abschließender Workshop und Fazit/Schlussfolgerungen mit dem pädiatrischen Beraterkreis im Kindernetzwerk und den Adoleszenten im Arbeitskreis "Junge Erwachsene im Kindernetzwerk" im November 2017

Weitere Maßnahmen in Richtung besserer Gesundheitskompetenz junger Menschen, die auf den bisher erzielten Ergebnissen des Projektes basieren, könnten nun ab dem Jahr 2018 folgen, müssen aber noch konzeptionell und finanziell abgestimmt werden
  • Zusammenführen aller Erkenntnisse in kurze und kompakte praxistaugliche Handlungsempfehlungen;
  • Strategie entwickeln, um die Kommunikationskarte möglichst weit und gezielt zu streuen (Verteilung SPZs und SMZs);
  • Karte für Transitionsprozesse zum Übergang in die Erwachsenenmedizin benutzen (etwa bei der J1).

Denkbar wäre es zum Beispiel auch, eine ausschließlich auf Pädiater ausgerichtete Karte zu entwickeln. Ein passender Slogan ist schon gefunden: "Ich kann auch mal zuhören!"

Bestelladresse für die Kommunikationskarte:
Kindernetzwerk e. V. Hanauerstraße 8 63739 Aschaffenburg Bestell-Mail-Adresse: info@kindernetzwerk.de


Korrespondenzadresse
Raimund Schmid
Andre Harbrock
Kindernetzwerk e. V.
E-Mail: info@kindernetzwerk.de

Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2018; 89 (2) Seite 143-144